Mein liberales Europa
Was für mich ein liberales Europa bedeutet..
Altkanzler Helmut Kohl erklärte 1991 auf einem Parteitag, dass Europa keine Festung sein dürfe, in der sich vor anderen abgeschottet werde. Europa solle offen sein und bleiben.
Fast 28 Jahre später erklärt der amtierende Innenminister zunächst, dass ab dem 1. Juli Zweitantragsteller an deutsche Grenzen zurückgewiesen werden, um dann nach einigem Theater von einer müden Kanzlerin erklärt zu bekommen, dass die gesamteuropäische Lösung auch darin bestehen wird, die EU Außengrenzen stärker abzusichern. Egal, wie man diese Aussagen bewerten möchte, egal wie sehr sich daraus eine Deutung herauslesen lässt- es bleiben viele Fragen offen.
Allen voran, was in den 28 Jahren passiert sein musste, dass ein solcher Kurswechsel nötig erscheinen ließ? Wo ist die Idee verblieben, dass Europa ein freiheitsliebender Ort ist, in der die Gesellschaft gemeinsame Werte schafft und teilt, jedoch die eigenen Identität geschützt wird und ausgelebt werden darf? Was ist mit der Vorstellung passiert, dass die Wirtschafts- und Finanzwelt sich in einer gemeinsamen Richtung stetig gegenüber den Konkurrenten aus den USA und China durchsetzten wird? Wo ist der Glaube verblieben, dass Europa sich eine eigene positive Identität aus dem reichhaltigen Portfolio von unterschiedlichen Gesellschaften und Kulturen formen wird?
Ich will es ihnen mit aller Deutlichkeit sagen: All diese Ideen und Vorstellung sind an der down to Earth- Realität zerschellt. So überschwänglich die damaligen Gründer den Spirit der EU vorantrieben und sich auch über die Köpfe der Kritiker und Bürger hinwegsetzten, so wenig wurden die eigentliche Kernidee der EU definiert oder impliziert.
Angstszenarien und Hexenjagd
Ja, es gab und gibt viele Reden und Redner zum europäischen Puls. Ja, es wurde und es wird viel über die europäische Zukunft und die Ausrichtung gesprochen. Ja, die EU- Kritiker werden nicht müde zu betonen, wie schlecht die Lage der EU ist.
Jedoch wurde und wird wenig bis gar nicht über den aktuellen Status-quo EU, die eigentliche Gefühlslage in den Mitgliedsländern, dem eigentlichen „Hey, wie geht’s dir?“ zum Nachbarland gesprochen. Jede aufkommende Problematik wird mit einem teilweise bizarren Angstszenario „gebranded“ und mit wilden Zukunftsprognosen ungefiltert an die EU Bürger weitergegeben. Dabei können die möglichen zukünftigen Verluste gar nicht hoch genug beziffert werden, um jetzt schon mögliche Nachteile im anspringenden Regulierungswahn entgegenzuwirken. Ein Muster, dass sich zu einem globalen Protektionismus hochgesteigert hat und fleißig von anderen Globalplayer übernommen wurde- der Slogan „America First!“ was made in the EU!
Stimmt nicht ? Als Beispiel soll hier nur an die Hexenjagd der EU Kommission gegen Microsofts Internet Explorer erinnert werden, die Wiederauflage mit Googles Betriebssystem Android, dass kommende Leistungsschutzgesetz oder aber die harte und möglichst gnadenlose Abstrafung eines britischen Bündnispartners, für die freiwillige Abkehr von Europa.
Kommunikation als Basis
Wie kann Europa aus diesem Angstszenario herausfinden? Wie kann man diesen Schritt mutig schaffen, wenn man keine gemeinsame Basis als Ausgangspunkt hat?
Marie von Ebner-Eschenbach sagte einmal, dass wenn man nur selbst redet, man nichts erfahren würde. Ich finde diese Feststellung äußert angebracht und als dringender Ratschlag auf allen EU Ebenen zu verwenden. Ohne eine funktionierende Kommunikation kann ein Umdenken nicht beginnen. Ohne Austausch der oftmals gegensätzlichen Standpunkte kann keine zufriedenstellende Antwort gefunden werden.
Dementsprechend muss diese Form der Kommunikation in die europäischen Institutionen transparent verlagert werden, um diese damit handlungsfähiger zu gestalten.
Und genau da setzt meine Vorstellung einer Europäischen Union mit einer wechselwirkenden Kommunikation an. Weniger Prognosen, weniger absurde Pläne und Angstszenarien. Mehr hier und jetzt mit den Herausforderungen des täglichen Lebens in Europa!
Dazu gehört auch der mutige Wille von Reformen innerhalb der europäischen Organe. Es braucht eine Basis und eine gemeinsame Richtung. Es kann nicht sein, dass viele Länder nur das aus der EU ziehen wollen, was ihnen den größten Vorteil bringt. Selbstverständlich soll eine gegenseitige Unterstützung stattfinden. Jedoch kann das die EU in der jetzigen Form nicht leisten. Vielmehr koppelt sich die EU mehr und mehr von ihrer eigenen Substanz ab und prescht wild und unsinnig voran. Dazu wirkt die EU in ihrer Außenwirkung oftmals arrogant, teilweise launisch und bevormundend aber selten einig.
Die EU- das verzogene Kind
Betrachtet man das am Anfang aufgeführte Drama um den Asylstreit nochmals, zeigt sich eben, dass man in wenigen Tagen und mit einer „druckvollen“ Kommunikation mit den Nachbarstaaten zum Kernpunkt der Asylproblematik kam. Man stelle sich vor, welches tragbare Ergebnis man hätte erreichen können, wenn die Gesprächssituation nicht so erzwungen wäre. Das so präsentierte hektische ,Ergebnis‘ zeigt zwei wesentliche Fragen des europäischen Dilemmas auf. Warum hat die Bundesregierung einen Weg der öffnen Kommunikation -und wir sprechen hier von einem Zeitraum seit 2015- nicht schon vorher einschlagen können? Und warum wurden solche Diskussionen nicht in den dafür zuständigen EU Organen geführt oder aber zumindest versucht, eine gegenseitige Sensibilisierung zu schaffen- Zuständigkeit hin oder her?
Selbstverständlich lassen sich diese Frage nicht ohne Weiteres beantworten. Und jeder Versuch eines Ansatzes würde sich nicht ohne populistisches Säbelrasseln bewältigen lassen. Aber es zeigt, dass es dringend Zeit ist, den Reformwillen voranzutreiben aber den Spirit und die Identität der EU in den Vordergrund zu stellen. Weg von einer Vergrößerung der EU Institutionen, hin zu einer handlungsfähigen und offen Kommunikationsplattform aller EU Bürger. Es wird Zeit aktuelle Kernprobleme unmittelbar und intensiv anzugehen und nicht Jahre verstreichen zu lassen, währenddessen Populisten mehr und mehr Einfluß durch frustrierte Wählerschichten erhalten. Der Fokus von Europa sollte stetig auf die Bereiche gelenkt werden, die Synergieeffekte ermöglichen, sich nicht jedoch in länderspezifische Einzelfragen verzetteln.
Ein Drahtseilakt, der einen gewissen Demut in Machtfragen erfordert und sicherlich nicht für die meisten der politischen Elefanten möglich sein wird- ohne diese Rücksicht, sich jedoch die EU weiter spalten wird.
Herzlichst
Ihr David Flügel
Stellvertretender Kreisvorsitzender